09 | Ernst Fraenkels Werk: Der Doppelstaat

Humanisten im Fokus - Zerstörte Vielfalt
Im Jahr 1936 erstreitet Ernst Fraenkel für aus politischen Gründen entlassene Angestellte des Freidenkerverbands vor dem Reichsarbeitsgericht Abfindungen. Daraufhin zieht die Gestapo diese als "staatsfeindliches Vermögen" ein. Auch in Prozessen gegen politisch Verfolgte macht er oftmals die Erfahrung, dass sich NS-Institutionen über das formal geltende Recht hinwegsetzen. Obwohl es keine Rechtsgrundlage dafür gibt, darf er vor dem Volksgerichtshof keine Mandanten vertreten. In manchen Verfahren sieht er sich aufgrund der Tatsache, dass die Gestapo freigesprochene Angeklagte ins KZ einliefert, gezwungen, seine Mandanten zu Teilgeständnissen zu überreden.
"Die Zwiespältigkeit meiner bürgerlichen Existenz machte mich für die Widersprüchlichkeit des Hitlerregimes besonders hellhörig. Dem Gesetz nach gleichberechtigtes Mitglied der Anwaltschaft, war ich dennoch auf Schritt und Tritt Schikanen, Diskriminierungen und Demütigungen ausgesetzt, die ausnahmslos von der staatstragenden Partei ausgingen." Ernst Fraenkel, "Der Doppelstaat", 1974
Dieses Nebeneinander von formalem Recht und staatlicher Willkür fasst Ernst Fraenkel in seinen überlegungen im Buch "Der Doppelstaat" zusammen. Der Doppelstaat besteht für ihn aus einem "Normenstaat", der in vielen Bereichen das Weiterbestehen des Rechtssystems garantiert, und einem "Maßnahmenstaat", der je nach politischer Zweckmäßigkeit jegliche Normen außer Kraft setzt, um gegen die als Feinde des Regimes deklarierten Bevölkerungsgruppen vorgehen zu können. Es gelingt ihm, das Manuskript ins Ausland schmuggeln zu lassen. Im US-Exil überarbeitet, erscheint das Werk 1941 in den USA. Aufgrund der darin verarbeiteten, leidvollen Erfahrungen findet Ernst Fraenkel erst 1974 die Kraft für eine deutsche Ausgabe. "Der Doppelstaat" gilt bis heute als Standardwerk über Politik, Justiz und Recht im NS-Herrschaftssystem.
Medien
Die humanistische Bewegung der-doppelstaat-cover.jpg (610x921, 224 KByte)
PDF EinziehungvonAbfindungsanspruechen.pdf (2,5 MByte) -- Die Gestapo beschlagnahmt die von Ernst Fraenkel erstrittenen Abfindungen für ehemalige Mitarbeiter des Freidenkerverbands als "staatsfeindliches Vermögen".
PDF Urteil_RAG.pdf (3,7 MByte) -- Auszug aus dem Urteil des Reichsarbeitsgerichts, das Ernst Fraenkel erstritten hat