07 | Die Auflösung der weltlichen Schulen
"Aufgewachsen in einem politisch engagierten Elternhaus in Alt-Stralau, besuchte ich seit
Ende der zwanziger Jahre die Lebensgemeinschaftsschule in der Lichtenberger
Marktstraße. [...] Dort wirkten die linkseingestellten Lehrer Mücke und Hähnelt und
prägten uns Kinder, deren Eltern meist der SPD oder KPD nahestanden.
Wir hatten keinen Religionsunterricht, Mädchen und Jungen wurden zusammen betreut,
und es gab auch keine Schläge - auf keinen Fall! Persönliche Meinungen wurden
geachtet. Ich habe mich dort sehr wohlgefühlt. [...] Aus all diesen Gründen fiel der
Umbruch 1933 besonders krass aus. Die genannten Lehrer sollen abgeholt und
eingesperrt worden sein, hörten wir. An die Schule kamen nun ganz anders eingestellte
Fachkräfte. Sie hetzten Mitschüler gegen uns auf. Ich bekam ein Schild umgehängt mit
der Aufschrift 'Kommunistenschwein'."
Heinz Willhagen, Schüler der 37. Volksschule, Marktstraße, Lichtenberg
Die weltliche Schulbewegung befindet sich von Anfang an im Fadenkreuz der Nationalsozialisten,
die sozialistisch-humanistische Ideen und fortschrittliche Pädagogik ablehnen.
Bereits vor 1933 starten sie Initiativen zur Auflösung der weltlichen Schulen. In
Braunschweig, wo die NSDAP ab Herbst 1930 an der Regierung beteiligt ist, verfügt der
von der NSDAP gestellte Kultusminister das jahrgangsweise Auslaufen dieser Schulen.
Entsprechend beginnen die Nationalsozialisten sofort nach ihrer Machtübernahme, die weltliche Schulbewegung zu zerschlagen. Die Berliner Schulverwaltung beabsichtigt, noch im Laufe des Jahres 1933 alle weltlichen Schulen aufzulösen. Im April 1933 beurlaubt sie deren Direktoren und einen Teil der Lehrer. In Neukölln, dem Zentrum der weltlichen Schulbewegung in Berlin, werden diese Schulen sofort geschlossen; in anderen Bezirken gestalten die Nationalsozialisten diese grundlegend um. Die Lehrerschaft wird verpflichtet, "die Schule zu einer christlichen Schule umzugestalten, in der die Erziehung zu nationalem Wollen und Fühlen die Hauptsache sein sollte". Lehrer und Eltern werden gedrängt, diese Vorgaben umzusetzen. Obwohl sich eine Mehrheit von Eltern und Lehrern dem Druck beugt, werden mit Ablauf des Schuljahres im Frühjahr 1934 alle ehemals weltlichen Schulen aufgelöst.
Für die Schüler sind die Veränderungen einschneidend. Militärischer Drill, Paukpädagogik, Prügelstrafe, Schulgebete und Religionsunterricht bestimmen von nun an ihren Schulalltag. Mädchen und Jungen werden wieder getrennt unterrichtet.
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Willlhagen.jpg (3543x2362, 790 KByte) -- Die Klasse von Heinz Willhagen auf Klassenfahrt. | |
Willhagen2.jpg (3543x2362, 664 KByte) -- Die Klasse von Heinz Willhagen in der 37. Volksschule in Berlin-Lichtenberg |